Diakoniestation Heilbronn e.V.
Pflegekräfte sind täglich mit Armut konfroniert
Gerald Bürkert sucht immer wieder nach Lösungen für Mangelsituationen im häuslichen Umfeld
Das neue Betreuungsteam der Heilbronner Diakoniestation ist gelebte Antwort auf die soziale Verarmung vieler auf Hilfe angewiesener Menschen. Wenn gewünscht, wird auch beim Briefeschreiben geholfen.
Als ambulanter Pflege- und Betreuungsdienstleister kommt die Diakoniestation Heilbronn täglich in hunderte von Haushalten. Was sie dort an sozialen und finanziellen Notständen erleben, schildert Geschäftsführer Gerald Bürkert.
Was ist bereits alles schon passiert, wenn sich jemand an Sie wendet?
Gerald Bürkert: Es geht immer um Krankheit und Pflege. An uns wenden sich sowohl Betroffene, deren gesetzliche Betreuer, als auch Angehörige. Immer mehr Anfragen betreffen Betreuung und Unterstützung im Alltag, also weitaus mehr als Kranken- und Altenpflege.
Was treffen Ihre Mitarbeiter in den Wohnungen und Häusern an?
Bürkert: Im schlimmsten Fall extrem hilfebedürftige Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu versorgen, geschweige denn, ihren Haushalt zu führen. Manchmal liegen schwere hygienische Mängel vor, beim Pflegebedürftigen selber, als auch in seiner Wohnung. Viele leben sehr zurückgezogen, haben kaum Kontakt zur Nachbarschaft oder zur Familie. Einsamkeit ist ein großes Thema.
Wo sind die Angehörigen? Wissen die das nicht, oder sehen die das nicht?
Bürkert: Viele Angehörige, vor allem die erwachsenen Kinder, sind aus beruflichen Gründen nicht mehr in der Nähe und zudem so eingespannt, dass sie gar keine Kapazitäten mehr für die eigenen Eltern oder Verwandten haben. Wir bekommen oft Anrufe mit dem Auftrag, uns um die Mutter oder den Vater zu kümmern. Erschwerend kommt hinzu, dass junge Familien oft selbst so viele Probleme haben, dass sie nicht die Kraft haben, sich selber zu kümmern.
Die Defizite im häuslichen und persönlichen Umfeld sind schnell erkannt und Sie versuchen, konkret zu helfen. Wie sieht das aus?
Bürkert: Wir sorgen zuerst für eine ausreichende Pflege. Manchmal sollten wir aber deutlich mehr tun als vom Arzt verordnet oder von der Pflegekasse bezahlt. Wir versuchen, eine Ver wahrlosung des Haushalts zu beheben oder zu vermeiden und schauen darüberhinaus nach Möglichkeiten, wie wir dem Klienten künftig Ansprache, Gemeinschaft, soziale Kontakte ermöglichen können.
Wer bezahlt das?
Bürkert: Die Pflegekassen und/ oder die Sozialämter leisten einen gedeckelten Beitrag dafür. Der Löwenanteil müsste aus eigener Tasche bezahlt werden. Wir erleben aber, dass der Pflegebedürftige diese Beträge nicht aufbringen können. Das können leicht mehrere hundert Euro im Monat sein.
Und jetzt kommt die Armut vieler älterer Menschen ins Spiel.
Bürkert: Ja, viele haben eine kleine Rente und kein Vermögen. Auch viele Kinder winken ab, weil sie sich dazu finanziell nicht in der Lage sehen. An diesem Punkt erleben wir, dass Familien heutzutage nicht mehr füreinander einstehen können oder wollen. Das ist übrigens ein Ergebnis unserer immer kapitalistischer und individueller werdenden Gesellschaft. Am liebsten übernimmt man nur noch Verantwortung für sich selbst, aber nicht für andere, nicht für die eigenen Eltern.
Was hat das für Folgen?
Bürkert: In unseren Augen wichtige pflegerische, haushälterische und betreuerische Leistungen müssen dann unterbleiben, was uns sehr umtreibt und uns in unseren Teamund Fallbesprechungen tief bewegt.
Als kirchlicher Träger können und wollen Sie da aber nicht wegschauen.
Bürkert: Richtig. Hier sehen wir unseren Grundauftrag: diakonisch gelebtes Handeln. Deshalb starten wir Anfang 2017 mit einem neu aufgestellten Betreuungsteam, welches wir zum Großteil in der Aufbauphase mit Spenden finanzieren müssen. Dieses Team soll vor allem gelebte Antwort auf die soziale Verarmung auf Hilfe angewiesener Menschen geben. Es geht um Unterstützung im Alltag, im Haushalt und um individuelle Betreuungsangebote: einkaufen, spazierengehen, Briefe schreiben – eben das, was dem Klienten gerade am Herzen liegt.
Sie erleben also nicht nur finanzielle, sondern auch große soziale Armut?
Bürkert: Ja und das eine hängt vom anderen ab. Wer kein Geld hat, läuft Gefahr, aus den eigenen vier Wänden nicht mehr herauszukommen und nicht gut versorgt zu sein. Erschwerend kommt hinzu, dass für ältere Menschen in unserer Gesellschaft nur schwer Spendengelder zu generieren sind. Ich werde manchmal den Eindruck nicht los, Projekte für ältere Menschen werden nicht mehr als zielfördernd erkannt. Wo bleibt hier die Wertschätzung für eine Generation, die unseren Wohlstand für heute mit erarbeitet hat?
Heilbronner Stimme 03.12.2016
Redakteurin Ulrike Bauer-Dörr
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